Familie Rosenzweig

Josef Rosenzweig wurde am 30. April 1891 in Gladenbach geboren. Sein Vater war der letzte von der jüdischen Gemeinde langfristig angestellte Lehrer in Gladenbach. Er war in dieser Funktion 36 Jahre tätig und ging 1919 als 76jähriger in den Ruhestand.
Josef besuchte das Gymnasium in Marburg und studierte auch an der dortigen Universität. Im Ersten Weltkrieg diente er als Offizier im deutschen Heer. Er war an der Westfront eingesetzt, wurde schwer verletzt und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.
Im Jahre 1921 heiratete er Gertrud Stern aus Greiz. Das Ehepaar zog nach Bünden. Hier wurden die Kinder Hannelore und Gerhard geboren. Im Jahre 1927 erhielt Rosenzweig die Stelle eines Lehrers und Rabbiners von der jüdischen Gemeinde in der Stadt Brandenburg angeboten. Er bezog dort die zur Synagoge gehörende Wohnung in der Großen Münzenstraße 15. Diese neue Position brachte ihn mit Bürgermeistern, städtischen Beamten und anderen Autoritäten in Kontakt, der zu vielen Freundschaften führte. Sein Einsatz als Offizier im Kriege trug viel dazu bei und half bei der gesellschaftlichen Integration.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erlebte der Rabbiner mit Entsetzen, dass der Antisemitismus zur Staatsdoktrin wurde und in Übergriffe und Boykottmaßnahmen ausartete. Er empfahl vielen Angehörigen seiner Gemeinde die Ausreise aus Deutschland und half ihnen bei der Erledigung der Formalitäten. Sich selbst hielt er aber angesichts seines Werdeganges und seiner politischen Einstellung zu keinem Zeitpunkt für gefährdet. Ihn - so glaubte er fest – würde die Gestapo in Frieden lassen. Das ging gut bis zum Herbst 1938. Im Oktober wurde er unter der Beschuldigung, Hühner auf koschere Art geschlachtet zu haben, verhaftet. Das Gericht verurteilte ihn zu sechs Monaten Gefängnis. Für Josef Rosenzweig brach eine Welt zusammen. Vieles geschah in diesem halben Jahr seiner Haft, „Reichskristallnacht“, Zerstörung von Synagogen und jüdischen Geschäften, Massenverhaftungen von Juden, Berufsverbote usw. Auch seine Brandenburger Synagoge wurde am 9.11.1938 in Brand gesteckt.
Frau Rosenzweig zog mit ihren Kindern im November 1938 nach Berlin. Sie kam vorläufig bei Freunden unter. Die Tochter Hannilore (geb. 1922) emigrierte im Dezember nach England. Dort wurde sie 1940 von einer englischen Dame adoptiert. 1945 heiratete sie Henry Gable. Sie starb 1978.
Der Sohn (geb. 1925) musste das Gymnasium in Brandenburg in der Untertertia verlassen und wurde nach Verhaftung des Vaters in dem Auerbachschen Waisenhaus in der Schönhauser Allee in Berlin untergebracht. Im Juli 1939 kann er mit einem Kindertransport der OSE (Oeuvre de Secours aux Enfants, Hilfswerk für Kinder) nach Frankreich.
Josef Rosenzweig beantragte sofort nach seiner Entlassung, im April 1939, die Ausreise aus Deutschland. Noch im gleichen Monat fuhr er via London nach Paris. Er wurde bei Kriegsausbruch als feindlicher Ausländer verhaftet. Im November ließ man ihn wieder frei. Er ging nach Marseille. Dort wiederholten sich im Mai und Juni 1940 Verhaftung und Freilassung noch einmal.
Vater und Sohn trafen sich nach der Entlassung aus der ersten Haft auf dem Bahnhof in Paris. Später besuchte der Sohn seinen Vater noch einige Male in Marseille. Er erlebte ihn als gebrochenen Menschen. Seine Welt war aus den Fugen geraten, seine Familie auseinandergefallen und in Europa verstreut. Die Ehefrau kam aus Berlin nicht weg, die Tochter wohnte in England. Er selbst war von den Franzosen abhängig,die er noch vor Jahren bei Verdun und an anderen Frontabschnitten bekämpft hatte. 1942 erfuhr er von der Verhaftung seines Sohnes. Da sich Rosenzweig nicht als Jude zu erkennen geben durfte, legte er sich einen anderen Namen zu und besorgte sich einen falschen Pass. Im Sommer 1943 entdeckte man bei einer Personenkontrolle die beiden Pässe bei ihm. Er wurde verhaftet und in das Durchgangslager Drancy bei Paris gebracht. Von dort kam er mit einem Sammeltransport nach Auschwitz. Dort verliert sich seine Spur, - vermutlich in der Gaskammer.

Frau Rosenzweig lebte in Berlin bei Freunden. Sie wechselte ständig die Adresse, wurde aber im Herbst 1944 noch entdeckt und nach Theresienstadt verschleppt. Nach der Auflösung des Lagers im Januar 1945 kam sie nach Mauthausen. Dort wurde sie von den Amerikanern befreit. Ihr Schwiegersohn, der bei der Royal Airforce diente, fand sie im Mai und nahm sie mit nach Braunschweig. Im Juli zog sie nach England zu ihrer Tochter und im November 1949 in die USA zu ihrem Sohn. Sie starb 1985 in San Francisco.
Gerhard Rosenzweig hatte ebenfalls Glück gehabt, die Konzentrationslagerhaft zu überleben. Er war 1939 in Frankreich mit anderen Kindern auf dem Schloss von Montbrison (Dep. Seine & Oise) untergekommen. Im Juni flohen die Lehrer mit ihren Schülern auf Fahrrädern vor den deutschen Truppen. Nach der Niederlage Frankreichs kamen sie nach Quincy-sous-Senart zurück. Im Juni 1940 ging Gerhard nach Clamart (nahe Paris), dort ließ er sich in einer Privatschule immatrikulieren. Ende 1940 stellte man im Chateau de Chabannes in St. Pierre de Fursac, einem anderen OSE-Heim im unbesetzten Frankreich, eine neue Kindergruppe zusammen, zu der Gerhard Rosenzweig und andere Berliner Kinder gehörten.
Im Juli 1942 wurde Gerhard zusammen mit 5 Kindern und einem Erzieher von der französische Gendarmerie verhaftet und nach Bonddac, Creuse geschickt. Dort floh der Lehrer. Die 6 Kinder brachte man nach Drancy, von dort ging es nach Gogolin (heute Opole) in Oberschlesien. Weitere Stationen dieses grausamen Weges waren Auschwitz-Birkenau(ein Zeichen dafür war die Nr. A-17651 auf dem linken Arm), Dachau, dazwischen lagen verschiedene andere Lager. Am 1.Mai 1945 wurde Gerhard Rosenzweig im KZ Dachau durch amerikanische Truppen befreit. Bis September 1945 arbeitete er in der45.Division der 3. Armee als Übersetzer und Adjutant für Offiziere.
Danach Rückkehr nach Paris und Check-in im O.S.E. Ab Januar 1946 besuchte er die Schule in Paris und trat in die Sorbonne ein. Im Februar 1947 wanderte er in die USA aus, nach Sausalito, zur Schwester der Mutter, Ilse Wiener.

Lit.: Jüdische Bürger in Brandenburg an der Havel, Komman Ankommen? Bleiben?, Bauer und andere, 2005