Dr. Lothar Kreyssig

Lothar Kreyssig wurde am 30.10.1898 in Flöha (Sachsen)als Sohn eines Großkaufmanns geboren. Nach zwei Jahren als Soldat im ersten Weltkrieg studierte er Jura und war ab 1928 in Chemnitz als Richter tätig. Kreyssig stand den Nationalsozialisten zunächst aufgeschlossen gegenüber. So war er Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, einer Parteiorganisation der NSDAP. Er wurde 1934 auch Mitglied des Bundes Nationalsozialistischer Juristen und des Reichsbundes der Deutschen Beamten. Die Mitgliedschaft in diesen berufsständischen Organisationen war nach 1933 für Juristen zwar nicht zwingend, wurde aber erwartet. Die Mitgliedschaft in der NSDAP selbst lehnte Kreyssig aber ab, da dem seine richterliche Unabhängigkeit entgegenstehe. Er war als evangelischer Christ als Präses der Bekennenden Kirche in Sachsen tätig. Die Bekennende Kirche wurde gebildet, um gegen die Gleichschaltung innerhalb der evangelischen Kirche (Abgrenzung zu „Deutsche Christen“) zu opponieren. Wegen seiner kirchlichen Tätigkeit kam es zu Ermittlungsverfahren gegen Kreyssig, die aber zu keinem Ergebnis führten. 1937 wurde Kreyssig als Vormundschaftsrichter nach Brandenburg an der Havel versetzt. Er wohnte in Hohenferchesar, wo er den „Bruderhof“ erwarb, auf dem biodynamisch gewirtschaftet wurde.
Im Rahmen seiner Tätigkeit als Vormundschaftsrichter fiel ihm auf, dass er immer häufiger Nachrichten über den Tod ihm anvertrauter Mündel erhielt. Über diese Beobachtungen machte er dem Reichsjustizminister Gürtner mit Schreiben vom 8.4.1940 Meldung und äußerte den Verdacht, dass Insassen von Heil- und Pflegeanstalten massenhaft ermordet würden. Ihm wurde unter Vorlage eines Handschreibens Hitlers geantwortet, dass die“Euthanasie“-Aktion von Hitler persönlich veranlasst worden sei und die Aktion unter Verantwortung der Reichskanzlei durchgeführt werde. Gegen Reichsleiter Philipp Bouhler, der für die Durchführung der „Euthanasie“-Aktion zuständig war erstattete Kreysssig Strafanzeige wegen Mordes. Den Anstalten, in denen Mündel, für die er zuständig war, untersagte er deren Verlegung ohne seine vorherige Zustimmung. Als Kreyssig vom Justizministerium darauf hingewiesen wurde, das Schreiben Hitlers sei die einzige Rechtsgrundlage, äußerte er:
„Ein Führerwort schafft kein Recht.“

Daraufhin wurde ihm vom Ministerium mitgeteilt, dass er dann nicht mehr Richter sein könne. Im Dezember 1940 wurde Kreyssig zwangsbeurlaubt, im März 1942 durch Erlass Hitlers in den Ruhestand versetzt. Trotz entsprechender Versuche der Gestapo, kam Kreyssig jedoch nicht ins KZ.
Ähnlich wie im Falle des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, dem „Löwen von Münster“, der sich öffentlich gegen die Euthanasie-Aktionen und die nationalsozialistische Herrschaft gestellt hatte, verzichtete man auf drastischere Schritte, da nach Goebbels Meinung, während des Krieges keine kirchlichen Märtyrer geschaffen werden sollten. Die endgültige Auseinandersetzung mit den Kirchen sollte nach dem „Endsieg“ stattfinden. In anderen Fällen, die sich nicht auf die „Euthanasie-Aktion bezogen, wie etwa bei Dietrich Bonnhoefer ließ man entsprechende Bedenken aber außer acht.
Bis zum Ende des Krieges widmete sich Kreyssig verstärkt der Kirche und dem ökologischen Landbau. Nach dem Krieg wurde er zwar als Widerstandskämpfer anerkannt, aber als Großgrundbesitzer („Junker“) teilweise enteignet. Kreyssig nahm seine richterliche Tätigkeit nicht wieder auf, da er die Rechtsstaatlichkeit in der Sowjetisch Besetzten Zone nicht gegeben sah. Stattdessen trat er hauptamtlich in den Dienst der Kirche und wurde Konsistorialpräsident, später Präses der Kirchenprovinz Sachsen. In der Folgezeit besetzte er etliche weitere Spitzenämter in der evangelischen Kirche. Kreyssig wandte sich gegen die Wiederbewaffnung und setzte sich für die Wiedervereinigung Deutschlands ein. Er vertrat einen Begriff der Ökumene, der auch das Judentum einschloss.Überhaupt war die Versöhnung mit dem Judentum ein Hauptanliegen Kreyssigs. Im Jahre 1958 gründete er die „Aktion Sühnezeichen“, in deren Rahmen deutsche Jugendliche nach Israel und in Länder der ehemaligen Kriegsgegner fahren sollten, um dort durch praktische Arbeit ein Zeichen der Versöhnung zu setzen. Nach dem Mauerbau konnte sich Kreyssig nicht mehr mit dem internationalen Teil der Organisation befassen. 1971 siedelte er nach West-Berlin um.
Kreyssig starb 1986 in Bergisch Gladbach.
Vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft in der Steinstraße erinnern zwei Stelen an Lothar Kreyssig.